Meine persönliche Geschichte mit Veränderungsmomenten ist, dass ich früh sehr viele hatte: als sog. Third Culture Kid bin ich als Kind in drei verschiedenen europäischen Ländern aufgewachsen, mit 3 verschiedenen Sprachen und war wegen vieler Umzüge auf 8 unterschiedlichen Schulen. Nicht, weil ich so ein schlimmes Kind war, sondern weil wir als Familie aufgrund der Wissenschaftskarriere meines Vaters uns dazu entschlossen hatten. Bzw. viel mehr wohl meine Eltern.
Ich fand es aber toll als Kind, weil es ständig etwas Neues zu entdecken gab, neue Herausforderungen, neue Menschen. Das prägt mich bis heute! In meinen Zwanzigern merkte ich dann, dass die nächste Herausforderung war, zu bleiben, denn so durchschnittlich nach 2 Jahren “zog” es mich richtiggehend weiter, auch wenn ich blieb. Es gab einen inneren Drang, wieder Neues zu entdecken, andere Orte, andere Herausforderungen. Wie im Film “Chocolat”, wo die beiden Protagonistinnen vom Nordwind gerufen werden, um weiterzuziehen (sie tun es dann nicht). Ich sah meine Erfahrung meist als Vorteil, weil ich mich immer noch schnell auf Neues einlassen kann, mich rasch zurecht finde und weiß, dass sich Situationen durch Wechsel verbessern können. Das hatte etwas Befreiendes. Ich merkte, wie mein Umfeld mich beeinflusst und dass es bessere und schlechtere Einwirkungen gibt. Dass ich in jedem Umfeld neue Seiten von mir entdecken und ausleben konnte, weil ich auf diese reagiert habe (heute spiele ich Improtheater und lebe das also anders aus). Ich fahre immer noch lieber an noch unbekannte Orte als an bekannte.
Natürlich hat das auch Kosten: während andere dann in ihren Studienzeiten nach Hause fuhren, konnte ich kein Zuhause, keine Heimat, keinen Ort nennen. Denn ich hatte da nichts. Heute noch ist der Begriff für mich mit Schwierigkeiten verbunden. Klar, es ist da, wo ich bin, aber da ich das ändern kann, scheint es willkürlich. Mittlerweile bin ich seit fast 14 Jahren an einem Ort (wer hätte das gedacht), und lebe meinen schon innewohnenden Drang nach Wechsel aus, indem ich viele Job-Stationen hatte und innerhalb einer Stadt 6x umzog. Nicht etwa, weil ich das plane, nein, es passiert mir quasi.
Ich ziehe die Veränderung an, wo ich mich doch oft nach Stabilität und Ankommen sehne. Denn das brauchen wir Menschen genauso. Und wir brauchen die Bewahrenden, die, die an einem Ort bleiben und etwas für die Region tun, sie aufrecht erhalten. Wären alle so nomadisch erzogen worden, gäbe es das nicht. Es gäbe dann zu viel Unordnung. Über 13 Jahre in einer Stadt zu leben, gab mir eine gewisse Stabilität, bei der ich merke, so schnell will ich die gar nicht mehr aufgeben. Da müsste mir schon wirklich etwas geboten werden. Ich merke, wie bequem ich werde, dafür eignet sich Wien besonders gut. Eine andere Stadt, nur um des Wechselns willens, nein Danke. Aber in meinem Hinterkopf wird es nie ausgeschlossen, auch wenn ich weiß, dass es langwierig sein kann, neue Freunde zu finden, sich ein Netzwerk aufzubauen usw. Aber ich schließe es nicht aus. Nur derzeit.
Das Thema Veränderung ist in aller Munde, geprägt durch unsere Zeit. In Mitteleuropa erleben wir kollektive Veränderungen, da war die Coronapandemie, die noch andauernde Energiekrise und der Klimawandel, Kriege sowie ein neues Bewusstsein, das Planungen erschwert. Wir reden von der VUCA-Welt, ein Akronym, das für Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität steht.
Doch war es jemals anders? Es scheint im Menschen zwei Pole zu geben: die Suche nach der Konstante, dem Gefühl aufzuwachen und jeden Tag die Gewissheit zu haben, „ich“ zu sein, in der Einheit, in der ich geboren wurde und aus der heraus ich weiß, dass die Sonne jeden Tag aufgeht. Und andererseits die dauernde Veränderung, die sich allein schon in meinem Körper in jedem Atom, jeder Zelle jeden Moment abspielt. Nichts ist da wie zuvor, jeder Moment ist schon neu. Veränderung ist also ständig da, auch wenn ich sie nicht immer bemerke und bemerken kann. Ich kann vielmehr die Konsequenz bemerken, z.B. dass meine Haut aufgrund der Zellveränderung trocken ist. Was aber in der Zukunft sein wird, das kann der Moment nicht sagen. Gleichzeitig könnten wir keine Pläne schmieden, keine Zeitrahmen festlegen, Deadlines, Flug- und Zeitpläne, auf die eben unsere Welt ebenfalls ausgerichtet ist, gäbe es keine Gewissheit des „Morgens“. Diese Dichotomie ist teils gar nicht so leicht auszuhalten und fordert uns viel Kraft ab. Sind kollektive Veränderungen leichter zu ertragen, weil eben zumindest alle im selben Boot stecken? Oder stecken wir uns gegenseitig mit einer gewissen Angst an?
Im Laufe unseres Lebens durchlaufen wir zumindest – soviel ist sicher – ein paar biographische Transitionspunkte und erleben Veränderungen, wenn wir von der Grundschule in eine andere Schule wechseln z.B. Oder die Schule beenden, die Ausbildung, aus dem Elternhaus ausziehen, eine Partnerschaft eingehen, eine Familie gründen, eine neue Arbeitsstelle antreten, krank werden, altern und Verluste erleben. Diese rites de passage erleben wir als Veränderungspunkte, als Übergänge in einen anderen, neuen Lebensabschnitt, der oftmals an gesellschaftliche Erwartungen geknüpft ist. Es sind dann Rollenwechsel, die im übertragenden Sinn ein neues Kleid erfordern können oder bildlich gesprochen, Schuhe, in die wir noch hineinwachsen. Diese Übergänge sind häufig mit einem Gefühl der Unsicherheit, je nach Prägung und Wichtigkeit vielleicht auch mit Ängstlichkeit verbunden, weil wir die Konsequenzen, also das Ergebnis der Handlungen und das eigentlich Neue noch nicht abschätzen können. Gefühle der Reue sind meist keine positiv verknüpften Emotionen und die Übergänge sind daher mit Zweifeln verbunden. Verstärkt wird dies in der heutigen Zeit auch noch durch eine zunehmende Flexibilisierung der Lebensentwürfe: diese Übergänge passieren durchaus nicht mehr in „vorgegebenen“ Zeitabschnitten: so kann es sein, dass Menschen ihren Job antreten und erst danach studieren bzw. umkehrt, parallel eine Familie gründen, aber noch bei den Eltern wohnen Ich will mich als Autorin von den gesellschaftlichen Erwartungen lösen, die mit einem Übergang oder Veränderungsdruckpunkt verbunden sind, möchte sie aber nicht unerwähnt lassen, weil sie eben zu dem Druck dazugehören.
Mir geht es vielmehr um die Frage, wo und an welchen Stellen im Leben Entwicklung passieren kann und wie diese psychologisch unterstützt werden kann, gerade wenn sie „hängt“, etwa wenn jemand leidet, unzufrieden ist und nicht selbst herausfindet aus dieser Spannung. Warum haben wir oft Angst vor der Veränderung, der Entwicklung und was bedeutet diese Angst?
Mir geht es also weniger um eine Bewertung oder wie bestimmte Phasen im Leben idealerweise aussehen sollten, sondern darum wie Leiden minimiert und persönliche Entwicklung, gerade wenn Blockaden vorliegen, gefördert werden kann. Es geht indessen um die Frage: wie kann ich mein Leben gemäß meiner Anlagen gestalten und vor allem bewusste Lebensentscheidungen treffen, auch angesichts Ereignissen, die mir passieren (wie z.B. Krankheit)?
Als Psychologin ist mir die Selbstwirksamkeit ganz wichtig und vor allem davon ausgehend, dass Entwicklung zwar nicht linear, aber dennoch stufenweise verlaufen kann. Damit meine ich, dass Übergänge Punkte markieren, an denen ich tatsächlich nicht „zurück“ kann: ich kann Entscheidungen abändern und verändern, aber ich gehe davon aus, dass sie etwas mit einem Menschen machen, ihn eben verändern und ‚anders‘ zurücklassen.
Am Beispiel der Resilienz lässt sich dies ganz gut zeigen: der Begriff, ursprünglich aus der Materialkunde kommend, wurde in den psychologischen Bereich übertragen und übersetzt. Ein Material ist dann resilient, wenn es in seine alte Form zurückprallt, elastisch ist z.B., sich nicht verändert. Das geht aber beim Menschen nicht. Daher plädiere ich für den Begriff der „transformativen Resilienz“, der mitbeinhaltet, dass Menschen sich verändern, sich entwickeln, dazu schwierigere Erfahrungen integrieren können, indem sie aus ihnen lernen und ihnen Sinn verleihen. Passiert dies, entsteht Wachstum. Und Wachstum kann durchaus weh tun, daher gibt es auch Wachstumsschmerzen in der Pubertät, gerade bei Menschen, die besonders schnell wachsen. Angesichts der Schmerzen und Verluste ist es also verständlich oder zumindest nachvollziehbar, dass sich manche Menschen schwer tun mit Übergängen und der Veränderungspunkten. Umso mehr möchte ich den Fokus auf mögliche Gewinne aus diesen Veränderungspunkten legen und aufzeigen, was möglich ist.
Wenn wir uns nicht verändern wollen, wollen wir im Umkehrschluss, dass alles so bleibt wie es gerade ist. Es soll haften, bewahrt werden. Das ist in unserer aktuellen Zeit durchaus herausfordernder geworden, weil wir pluralistisch geprägt sind und daher wenig Einigkeit darüber herrscht, was eigentlich bewahrt werden soll. Was möchten wir denn bewahren? Lässt sich das überhaupt beantworten, das “wir”?
Aber genau die kollektiven Punkte zwingen uns manches Mal dazu bzw. üben eben mehr oder weniger subtilen Druck aus. Manchmal geht es darum, die Phasen, das was eben gerade war, angemessen zu ehren und zu verabschieden. Wir haben dafür in vielen Fällen keine Rituale und allein der Begriff Rituale kommt dann vielleicht unpassend vor. Rituale, die den Übergang markieren, können aber manches Mal Sicherheit schaffen – es muss aber nicht so sein. Ein Beispiel eines Rituals ist ja eine Hochzeit, und gleichzeitig ist eine Hochzeit bei den critical life incidents, also den Ereignissen im Leben, die Krisen auslösen (können), ganz oben (Platz 7). Warum? Ich meine, weil es nicht mehr die eine Hochzeit gibt, sondern wir individualistisch genau so feiern können, wie wir wollen. Theoretisch eben. Und das kann Stress auslösen, denn es ist gekoppelt an die Frage: wie bin ich denn als Individuum bzw. wie will ich sein? Und als Paar.
Der vorsokratische Philosoph Heraklit von Ephesos prägte die Metapher der Veränderung als Fluss und Wandel, nämlich dass kein Mensch zweimal in denselben Fluss steigen kann. Zum Einen weil sich eben der Mensch verändert, jede Millisekunde, zum anderen aber auch der Fluss als Organismus. Dies macht es unmöglich, als Mensch zweimal in genau denselben Fluss zu steigen – alles unterliegt dem Wandel.
Dieses Gedankengut wurde vielfach weitergeführt. So postuliert der Physiker David Bohm, dass auch die Welt selbst nur einen Moment eines grundlegenderen Veränderungsprozesses begründe.
Veränderung kann also die Chance auf Verbesserung beinhalten, gerade wenn wir nicht wollen, dass alles so bleibt wie es ist. Oder es grundsätzlich ok wäre, aber eben “nur” ok. Und sie passieren ja sowieso, zum Beispiel bei den bereits erwähnten biographischen Transitionen:
Biographische Übergänge, also Transitionen, beschreiben tiefgreifende Veränderungen in einem Leben eines Individuums. Der Erfolg dieser Übergänge ist für unsere zukünftige Anpassungen (adjustments) und wie wir damit umgehen entscheidend. Je besser uns dieser Übergang gelingt, desto besser sind wir gerüstet oder resilienter für künftige Übergänge.
Im Fall von Migration oder Umzug kommt dann noch ein erstmaliger Kontakt mit fremden, unbekannten Werten, der Erwerb einer neuen Sprache hinzu. Die Transitionen werden potenziert, weil das soziale Lernen potenziert wird. Es wird außerdem bewusster erlebt als im Kontakt mit der Erstkultur. Das ist eine Chance, zu beobachten wie (soziales) Lernen funktionieren kann.
Diese Übergänge erfordern dann eine Neuorganisation des eigenen Denkens, des Verhaltens, des Familienlebens und der Fähigkeit, neue soziale Beziehungen und Kompetenzen aufbauen. Der „Migrationsstatus“ ist außerdem eine zusätzliche Herausforderung, die besonders heraussticht bei biographischen Übergängen. Mit Migrationsstatus meine ich, ob ich beispielsweise als "Expat" eine besondere, bessere gesellschaftliche Stellung im Ankunftsland habe oder als Migrant:in Nachteile, weil mir z.B. meine Ausbildung nicht anerkannt wird, weil ich eben keine sozialen Verbindungen habe. Und mich neu orientieren muss.
Alle Übergänge, die wir erleben, prägen unsere Identität und unsere Resilienzfähigkeit. Oder unsere “Transformationskompetenz”. Im besten Fall kann ich das mitgestalten. Und bekomme mehr Flügel - wie die Raupe, die dann zum Schmetterling wird.
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